Zuhause in einer zweidimensionalen Welt
Märta Tschudin erforscht an der Universität Basel Magnetismus auf atomarer Ebene
Wissenschaftlerinnen haben im Physikdepartement der Universität Basel in den letzten Jahren mehr und mehr Fuss gefasst. Eine von ihnen ist Märta Tschudin. Sie erforscht am ‚Quantum Sensing Lab‘ im Rahmen ihrer Doktorarbeit die extrem schwachen Magnetfelder von hauchdünnen Material-schichten, die nur aus einer einzigen Atomlage bestehen.
Im Jahr 2017 machte der spanische Physiker Pablo Jarillo-Herrero am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston (USA) eine aufsehenerregende Entdeckung: Er konnte zeigen, dass das kohlenstoffhaltige Material Graphen supraleitend ist, also bei tiefen Temperaturen Strom praktisch ohne Widerstand leitet. Für seine Experimente nutzte er sogenannte Monolagen aus Kohlenstoffatomen. Das sind hauchdünne Materialschichten, in denen Atome nur nebeneinander, aber nicht übereinander angeordnet sind und die man daher als ‚zweidimensional‘ bezeichnet. Für die Entdeckung erhielt Jarillo-Herrero 2020 zusammen mit zwei Kollegen den Wolf-Preis, eine der wichtigsten Auszeichnungen nach dem Nobelpreis.
Abstecher an das MIT in Boston
Die physikalische Forschung mit Monolagen – auch ‚Physik in 2D‘ genannt – liegt im Trend, und längst ist sie auch an der Universität Basel angekommen. Eine Forscherin, die das Wissen nach Basel brachte, ist Märta Tschudin. 2019 begann die gebürtige Baslerin ihr Doktoratsstudium, und als erstes fuhr sie für ein knappes Jahr ans MIT zu Pablo Jarillo-Herrero. Dort lernte sie, wie man magnetische Proben aus Monolagen herstellt. Dank dieses Wissens können die Forscherinnen und Forscher der Uni Basel nun selber solche Proben herstellen und mit einer Methode untersuchen, die wenige Jahre zuvor massgeblich an der Universität Basel entwickelt worden war.
Für unsere Videokonferenz hat Märta Tschudin einen Platz im zweiten Stock des Physikgebäudes der Universität Basel gewählt. Die Fenster sind mit Schutzfolie abgeklebt, damit das Tageslicht die Experimente nicht stört. Im Hintergrund ist ein Lasergerät zu sehen, das verwendet wird, um die Monolagen zu untersuchen. Die 26ährige Forscherin spricht Basler Dialekt. Doch wenn sie über ihre Arbeit redet, stolpert sie immer mal wieder über englische Wörter. „Switch, wie sagt man auf Deutsch?“, fragt sie dann und sucht nach der deutschen Entsprechung. Die Sprachverwirrung ist nicht erstaunlich, denn die Arbeitssprache von Märta Tschudin ist nun einmal Englisch. Sie gehört zu der 20-köpfigen, international zusammengesetzten Forschergruppe von Prof. Patrick Maletinsky, der zugleich ihre Doktorarbeit betreut.
Basel ist erste Wahl
Märta Tschudin hatte schon ihr Physikstudium an der Universität Basel gemacht und ihre Masterarbeit bei Patrick Maletinsky geschrieben. Sie wäre für die Doktorarbeit gern ins Ausland gegangen. Aber Basel ist bei der Untersuchung von Monolagen weltweit führend. So hat sie sich entschieden, hier zu bleiben bzw. sich mit dem knapp einjährigen Abstecher ans MIT zu begnügen. An internationaler Erfahrung fehlt es ihr auch so nicht: Schon für ihre Masterarbeit weilte die Nachwuchsforscherin sechs Monate in Montreal (Kanada) bei Prof. Lily Childress, Professorin an der McGill University.
Jetzt also wieder in Basel. Hier untersucht Märta Tschudin mithilfe sogenannter NV-Zentren magnetische Phänomene in Monolagen. NV-Zentren sind eine von Patrick Maletinsky mitentwickelte Untersuchungsmethode, bei welcher ein Magnetfeldsensor (das NV-Zentrum) in einer Diamantspitze ein Material abtastet und damit das Magnetfeld im atomaren Massstab misst. Die Forscherinnen und Forscher um Maletinsky fokussieren ihre Untersuchungen auf die Stoffgruppe der Chrom-Trihalogenide (CrX3, wobei X für Chlor, Brom oder Jod steht). Diese Familie von zweidimensionalen Magneten wurde erst vor kurzem entdeckt. Magnetische Zustände, die auf den Chromatomen zu beobachten sind, könnten in Zukunft einmal beim Bau eines Quantencomputers helfen. Solche praktischen Anwendungen sind aber nicht die Triebkraft für Märta Tschudin. „Meine Arbeit ist Grundlagenforschung, meine erste Motivation ist die Neugierde“, sagt sie.
Weibliche Vorbilder
Die Universität Basel empfindet die Nachwuchsforscherin als ideales Umfeld. Hier ist Expertise aus verschiedenen Bereichen der Quantenphysik versammelt. Motivierend für Märta Tschudin ist aber auch die Tatsache, dass im Physikdepartement in den letzten Jahren mehr und mehr Frauen arbeiten, auch als Professorinnen: Jelena Klinovaja, Ilaria Zardo, und seit jüngstem Andrea Hofmann. „Es ist hilfreich, weibliche Vorbilder zu haben“, sagt Märta Tschudin. „Wenn in einer Forschungsgruppe beide Geschlechter vertreten sind, ist das sehr gut für Ideenreichtum und Gruppendynamik.“ Geschätzt hat Märta Tschudin, dass sie während ihres Masterstudiums ein Frauenstipendum des Schweizerischen Nationalsfonds erhielt: „Mit dieser finanziellen Unterstützung konnte ich mich voll und ganz auf mein Studium konzentrieren und es gab mir den Push, nach der Masterarbeit im Wissenschaftsbetrieb zu bleiben.“
Als Märta Tschudin das Gymnasium besuchte, wählte sie den Schwerpunkt Mathematik und Physik. In der Klasse mit gut 20 Schülerinnen und Schülern waren fünf Mädchen. Dass sie in der Minderheit war, hinderte sie nicht daran, eine Leidenschaft für die Physik zu entdecken: „Das Fach hat einfach Megaspass gemacht. In der Physik arbeitet man mit Experimenten. Damit entspricht die Disziplin auch meiner Neigung zu kreativem Gestalten. Wenn ich heute in der Experimentalphysik arbeite, ist das für mich eine optimale Kombination von Kreativität und logischem Denken.“
Autor: Benedikt Vogel
Porträt #9 der Serie von Wissenschaftlerinnen im MAP Bereich (2021)